Bei aller Sympathie für das Regionalspital Affoltern: Ein Neubau für 100 Millionen ist finanziell kaum verkraftbar. Trotzdem muss nicht gleich alles stillgelegt werden.

– Tagesanzeiger, 13. Mai 2019, von Susanne Anderegg

Am Sonntag entscheiden die Stimmberechtigten im Knonaueramt über das Schicksal ihres kleinen Spitals. Für das Regionalspital spricht einiges. Die Hausärztinnen und Hausärzte der Region unterstützen es, sie arbeiten eng mit ihm zusammen. Diese Zusammenarbeit hat Tradition, sie wurde in den Neunziger- und Nullerjahren geprägt, als Christian Hess Chefarzt der Inneren Medizin war. Er hat mit seiner Frau, der Psychotherapeutin Annina Hess-Cabalzar, das Modell Menschenmedizin entwickelt, wonach jeder Patient und jede Patientin ganzheitlich angeschaut wird. Damals entstanden auch die Psychiatriestation mit Spezialisierung auf Mutter/Kind und die Palliativstation – zwei Besonderheiten des Spitals Affoltern.

Die Vernetzung zwischen Hausärzten und Spital ist ein grosser Vorteil. Informationen werden ausgetauscht, Therapien besprochen. Die Patientinnen fühlen sich umfassend betreut, sie haben kurze Wege. Und überdies ist es günstiger, eine einfache Operation im Regionalspital durchzuführen als im Unispital.

Gegen das Spital Affoltern spricht die gesundheitspolitische Realität. Es gibt zu viele Spitalbetten, in der Schweiz wie im Kanton Zürich. Hier wurden zwar bereits einmal mehrere kleine Spitäler geschlossen, vor 20 Jahren. Affoltern überlebte damals nicht zuletzt wegen seiner speziellen Ausrichtung. Doch jetzt ist ein weiterer Abbau fällig, denn es gibt Überkapazitäten im stationären Bereich, die in absehbarer Zeit noch wachsen, weil immer mehr Operationen ambulant durchgeführt werden. Diese Überkapazitäten sind ungesund. Die Spitäler wollen ihre Betten füllen. Sie haben einen finanziellen Anreiz, mehr als nötig zu behandeln. Überversorgung ist eine Tatsache.

Der langjährige freisinnige Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger hat das Problem erkannt. Sein Rezept dagegen waren Mindestfallzahlen: Nur wer bei definierten Eingriffen eine vorgegebene Anzahl Operationen erreicht, darf diese auch durchführen. Heiniger machte den Spitälern zunehmend strengere Mindestfallvorgaben. Er zog die Schraube an in der Meinung, dass sich der Spitalmarkt so von allein bereinigen würde.

Ob seine Nachfolgerin Natalie Rickli (SVP) diese Politik weiterführt, ist noch nicht bekannt. Sie könnte auch, wie Verena Diener 1998, ganze Spitäler von der Spitalliste streichen. Stichjahr ist 2022, dann soll eine neue Spitalliste in Kraft treten.

Zuzüger bevorzugen Zentrumsspital

So oder so ist klar: Die Betten in Affoltern braucht es nicht mehr. Rundum hat es mehrere Spitäler, die die kranken Säuliämtler gut und gerne aufnähmen. Allen voran das Zürcher Stadtspital Triemli mit seinem überdimensionierten neuen Bettenhaus, aber auch das Zuger Kantonsspital in Baar, das Spital Muri oder das See-Spital in Horgen und Kilchberg, das gegen eine sinkende Auslastung kämpft – wie das Spital Affoltern selber auch. Viele Neuzuzüger auf dem Land bevorzugen ein Zentrumsspital, in dem alle Spezialisten und Apparate verfügbar sind.

Das Spital Affoltern kann nicht weitermachen wie bisher. Das wissen die Verantwortlichen schon lange. Leider gab es in den vergangenen Jahren mehrmals Wechsel in der strategischen wie der operativen Führung, was den Erneuerungsprozess behindert hat. Statt gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, streiten sich die Leute im Knonaueramt um das Spital. Exemplarisch ist die Haltung des Bezirkshauptortes Affoltern: Als dessen Stadtpräsident noch die Betriebskommission des Spitals leitete, kämpfte er für dessen Überleben. Heute will er das Akutspital aufgeben. Auch beim regionalen Pflegezentrum und bei der regionalen Spitex will der Stadtrat Affoltern nicht mehr mitmachen.

Dabei wäre Solidarität gefragt. Eine funktionierende Gesundheitsversorgung verlangt nach Vernetzung, je länger, desto mehr, als Korrektiv zur Spezialisierung der Medizin.

Das aktuelle Konzept der Spitalführung ist wohl unrealistisch: Sie will das Akutspital weiterbetreiben und für die nötige Erneuerung 100 Millionen Franken investieren. Dieser Betrag muss später abgeschrieben werden, was die Betriebsrechnung massiv belastet. Für ein Kleinspital mit weniger als 100 Betten ist das finanziell kaum verkraftbar. Der Personalaufwand, um eine Chirurgie und eine Innere Medizin rund um die Uhr zu betreiben, ist unverhältnismässig gross.

Zwei Möglichkeiten für lokale medizinische Versorgung

Es gibt aber Alternativen, um den Menschen im Knonauer­amt wohnortnah eine sinnvolle medizinische Versorgung zu bieten. Zwei Möglichkeiten stehen im Vordergrund: entweder ein Spital in der Art der Klinik Susenberg in Zürich – sie ist spezialisiert auf onkologische und akutgeriatrische Rehabilitation und hat zudem eine Palliativstation – oder ein Gesundheitszentrum mit einer chirurgischen Tagesklinik, ähnlich wie es in Dielsdorf nach der Schliessung des Akutspitals entstand. In Kooperation mit den umliegenden Spitälern wäre in Affoltern sogar ein ambulantes Operationszentrum denkbar, in dem sowohl niedergelassene Ärztinnen und Ärzte als auch solche aus anderen Spitälern in einer schlanken Organisationsstruktur operieren können.

Der Spitalmarkt ist derzeit in Bewegung. Um ihre Position zu festigen, suchen die Spitäler nach neuen Partnern oder planen eine Fusion, wie Uster und Wetzikon. Auch das Spital Affoltern hat seine Bemühungen in diese Richtungen jüngst verstärkt. Die Überführung des Zweckverbandes in eine gemeinnützige AG jetzt abzulehnen, wäre vorschnell. Etwas sinnvolles Neues kann allerdings nur entstehen, wenn sich die Gemeinden im Knonauer­amt zusammenraufen.